Lissabon

Neue Studie: Alkohol schädigt das Gehirn sofort

ENS 2011: 3.200 Neurolog/-innen tagen in Lissabon

Neue Studie: Alkohol schädigt das Gehirn sofort

Lissabon, 31. Mai 2011 - Ein Gläschen in Ehren hat noch nie geschadet? Das Gehirn ist anderer Meinung. Eine aktuelle Studie einer chinesischen Forschungsgruppen zeigt, dass selbst geringe Alkoholmengen das Gehirn sofort, wenn auch nicht dauerhaft schädigen. "Wir untersuchten die akuten Effekte von geringen und hohen Alkoholdosen via Diffusions-Tensor-Bildgebung (diffusion tensor imaging, DTI). Konkret wollten wir herausfinden, ob man die Auswirkungen von Alkoholkonsum anhand zweier Kenngrößen beobachten kann: dem Diffusionskoeffizienten (apparent diffusion coefficient, ADC) und der fraktionalen Anisotropie (FA)", erklärte Dr. Lingmei Kong (Medizinische Universität Shantou, China) beim 21. Jahreskongress der Europäischen Neurologen-Gesellschaft (ENS) in Lissabon. Mehr als 3.200 Neurologie-Expert/-innen aus aller Welt diskutieren derzeit in der portugiesischen Hauptstadt aktuelle Entwicklungen aus ihrem Fachgebiet.

Das Forschungsteam war mit dem Nachweis erfolgreich: Die Studienteilnehmer/-innen zeigten nach Alkoholkonsum nicht nur typische Verhaltensreaktionen. Die chinesischen Forscher/-innen konnten auch beweisen, dass Frontallappen und Thalamus bei akutem Alkoholkonsum empfindlicher als andere Gehirnareale reagierten. Ein weiteres Ergebnis: DTI ist in der Lage, Veränderungen im Gehirn nach akutem Alkoholkonsum sichtbar zu machen, die von der konventionellen Magnetresonanztomographie (MRT) nicht darstellbar sind.

Untersucht wurden für die Studie junge, gesunde Frauen und Männer im Alter zwischen 20 bis 35 Jahren. Die Freiwilligen wurden nach dem Zufallsprinzip in drei Gruppen aufgeteilt: in eine Placebo-Gruppe, in je eine Gruppe mit einer geringen und einer hohen Alkoholdosis. Der Effekt des Alkoholkonsums wurde mithilfe von Magnetresonanztomographie untersucht. Die konventionelle MRT bestand in einer T1-gewichteten Spinecho Bildgebung und einer T2-gewichteten Bildgebung. Die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) wurde nach einer halben, einer vollen sowie nach zwei, drei und vier Stunden nach dem Alkoholkonsum durchgeführt. Dabei wurde eine Spinecho Echo-Planar-Sequenz verwendet. Untersucht wurden folgende Gehirnareale: vorderes Marklager, innere Kapsel, äußere Kapsel, präzentraler Gyrus, postzentraler Gyrus und Thalamus.

Auswirkungen von geringen und hohen Alkoholdosen

Selbst geringe Alkoholmengen veränderten Stimmung und Verhalten der Testpersonen: Sie waren niedergeschlagen, sprachen schneller, wirkten aufgeregt und litten unter Kopfschmerzen und Schwindelgefühlen. Ihnen war 0,45 Gramm Alkohol pro Kilo Körpergewicht verabreicht worden.

Die Testpersonen, denen eine hohe Dosis Alkohol verabreicht worden war, zeigten Reaktionen wie Kopfschmerzen, Schwindelgefühle, Übelkeit und Niedergeschlagenheit und waren benebelt. Sie hatten Probleme, ihre Bewegungen zu kontrollieren und zu koordinieren (Ataxie). Die Dosis, die dieser Gruppe verabreicht wurde, betrug 0,65 Gramm Alkohol pro Kilo Körpergewicht.

Den Rausch sichtbar machen

"Mit dem Einsatz von konventioneller MRT konnten wir bei keiner der Testpersonen irgendeine Abweichung feststellen, mit DTI hingegen schon", berichtete Dr. Lingmei Kong. DTI ist eine neuere MRT-Anwendung, die auf der Messung der Brownschen Molekularbewegung bei Wassermolekülen beruht. Indem man die Diffusion von isotropischem und anisotropischen Wasser quantifiziert, lassen sich Informationen über die Mikrostruktur des Gehirns gewinnen, und zwar mit Hilfe von zwei zentralen Parametern: FA bemisst die Ausrichtung der Diffusion, während ADC über die Gesamtdiffusität Aufschluss gibt.

Besonders empfindlich: Frontallappen und Thalamus

"Die ADC-Werte bei Frontallappen und Thalamus sanken in beiden Gruppen eine halbe Stunde nach dem Alkoholkonsum", so Dr. Lingmei Kong. Die ADC-Werte zeigten deutliche Veränderungen, wobei der geringste Wert nach einer halben Stunde erreicht wurde und sich dann in beiden Gruppen, die Alkohol konsumiert hatten, wieder graduell verbesserten. Nach vier Stunden waren die Normalwerte wieder hergestellt. Bei den ADC-Werten von Frontallappen und Thalamus gab es deutliche Unterschiede zwischen den beiden Gruppen mit Alkoholkonsum und der Placebo-Gruppe. Kein Unterschied zeigte sich dagegen zwischen den beiden Alkoholgruppen.

"Schlechte Nachrichten für alle, die sich gerne das eine oder andere Gläschen gönnen - selbst eine kleine Menge Alkohol ist wie ein Faustschlag für das Gehirn. Frontallappen und Thalamus reagieren besonders empfindlich auf die Wirkung von Bier, Wein und anderen alkoholischen Getränken", folgerte Dr. Lingmei Kong, hat aber gleichzeitig ein Trostpflaster parat: "Die Wiederherstellung der DTI-Parameter innerhalb von drei bis vier Stunden nach dem Trinken könnte ein Hinweis darauf sein, dass niedrige wie hohe Alkoholmengen die Gehirnfunktionen zwar sofort beeinträchtigen, aber nicht dauerhaft schädigen."

Hintergrund: Die Alkoholmengen

0,45 Gramm Alkohol pro Kilo Körpergewicht entspricht:

Bei einer 50 kg schweren Person: 2 kleinen Bier (0,3 Liter, 4,9 % Vol. Alk.)

Bei einer 60 kg schweren Person: 3 Gläsern Sekt (0,1 Liter, 11 % Vol. Alk.)

Bei einer 70 kg schweren Person: 5 Gläsern Wodka (0,02 Liter, 40 % Vol. Alk.)

Bei einer 80 kg schweren Person: 2 Gläsern Wein (0,2 Liter, 11% Vol. Alk.)

0,65 Gramm Alkohol pro Kilo Körpergewicht entspricht:

Bei einer 50 kg schweren Person: 5 Gläsern Wodka (0,02 Liter, 40 % Vol. Alk.)

Bei einer 60 kg schweren Person: 3 kleinen Bier (0,3 Liter, 4,9 % Vol. Alk.)

Bei einer 70 kg schweren Person: 5 Gläsern Sekt (0,1 Liter, 11 % Vol. Alk.)

Bei einer 80 kg schweren Person: 3 Gläsern Wein (0,2 Liter, 11 % Vol. Alk.)

Quelle: ENS Abstract P796 Study of diffusion in human brain after acute alcohol consumption

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